Ein nicht ganz fairer Rückblick
Achtung, hier wird’s subjektiv. Letzte Woche fand in Hamburg die Social Media Week 2018 statt – drei Tage vollgepackt mit Panels an zwei benachbarten Locations in Altona – dem Altonaer Museum und der University of Applied Sciences Europe. Wir von TDUB waren vor Ort. Meine persönliche Bilanz: Es war eine Enttäuschung.
Ganz klar: Die Nachfrage ist groß und der Aufwand enorm. Die Organisation hat sich schon in den vergangenen Jahren mit Hinzuziehung einer Event-Agentur professionalisiert. Man fragt sich nur, warum die Orga vor Ort dennoch so chaotisch war. Viel zu viele Menschen überall und eine rigide Security. Die Timeline zum Hashtag #smwhh war denn auch vom Unmut geprägt:
Rückblick: Im Jahr 2014 war TDUB Ausrichter eines Events gewesen – und damals war das Motto der SMW HH noch „Dezentral – kostenlos – international“. Die Events waren über die ganze Stadt verteilt und komplett unentgeltlich. Wir hatten selbst drei spannende Referenten aufgetrieben und konnten zahlreiche Gäste zum Thema „Fake“ bei uns in der Agentur begrüßen. Unser Ansatz: Keine „Verkaufe“, sondern allgemein spannende Themen – wie hier etwa Identitätsdiebstahl, Fake-Accounts und Fan-Kauf. 2016 wäre ein Event bei uns nur noch mit dem Kauf eines teuren Sponsorenpakets möglich gewesen. Da entschieden wir uns für unsere eigene Eventreihe, die wir unter dem Namen 30/30 in unseren Räumen in der HafenCity durchführten. Möge sich die SMW doch kommerzialisieren – aber ohne uns.
Als Besucher sind wir aber dabeigeblieben – bis 2018. Bitte nicht falsch verstehen: Dass es mit den Tickets und den Räumen jedes Jahr neuen Ärger gibt – geschenkt. Die Veranstalter sind engagiert, und ich kann mir vorstellen, dass es verdammt schwierig ist, genau die richtigen Kapazitäten bereitzustellen. Die hohe Besucherzahl zeigt ja, dass es Bedarf gibt und dass die Themen wohl auch auf Interesse gestoßen sind. Von daher: Macht gerne weiter und tragt dazu bei, dass Social-Media-Themen diskutiert werden und das Publikum sich weiterbilden kann! Unter uns: 50 Euro für drei Tage volles Programm sind ja nun auch keine Unsummen. Für eine professionelle Veranstaltung kann man das ruhig ausgeben. WENN man denn auch was dabei lernt.
Aber diese Inhalte … (*kopfschüttel*)
Ich ärgere mich vor allem darüber, dass die Inhalte den ganzen Aufwand und den Ärger am Einlass gar nicht rechtfertigen konnten. Ich habe wenig gelernt und kaum echte Debatten erlebt. Kernproblem: Die meisten Referenten wurden ausgewählt, weil sie zu ihrem Fachgebiet, das sie auch beruflich betreiben, etwas erzählen sollten. Das führt häufig zu blanker Eigenwerbung – und selbst wenn der Referent etwas souveräner auftritt, sind zumindest die Thesen erwartbar.
Ein Beispiel: Beim Panel „#Influencer #Marketing – Bullshit oder heiliger Gral? (wer hat sich denn allein schon diesen Titel ausgedacht?) saßen auf der Bühne:
- ein Influencer (und zugleich Berater),
- ein Vertreter einer Influencer-Vermittlungsagentur,
- ein Vertreter eines Unternehmens mit tollen Influencer-Cases und
- jemand von Youtube.
Wer von denen hätte denn wahrhaftig sagen sollen, dass Influencer Marketing „Bullshit“ ist? So kam bei den Statements nicht mehr raus als die üblichen Floskeln („Der Influencer muss zur Marke passen!“), die in den Fachzeitschriften und Facebook-Gruppen seit Jahren rauf und runter gebetet werden.
Thesen von vor 20 Jahren
Apropos „seit Jahren“: Beim Screening des Programms fühlte man sich teilweise ins vergangene Jahrtausend zurückversetzt. Der Vertreter einer angesagten Branding-, Media-, Content- oder Performance-Agentur (je nachdem, was man googelt) schrieb tatsächlich das Wort „Mitmachmarketing“ in seinen Vortragstitel und sprach darüber, dass heutzutage ja die Kunden zu „Co-Kreatoren“ würden: „Die gute alte Zeit der Werbung ist VORBEI!“. Als ob nicht vor inzwischen knapp 20 Jahren, im Jahre 1999, das Cluetrain-Manifest erschienen wäre.
Andernorts wurde diskutiert, ob „dieses Facebook“ überhaupt noch für Unternehmen sinnvoll sei, und ob man da nicht auch Geld für Ads in die Hand nehmen müsse. Dazwischen immer wieder Selbstbespiegelung, wie man sein persönliches Profil optimieren müsse, und wie man bei Instagram „Growth Hacking“ betreibe, um gaaanz viele Follower zu gewinnen. Und immer wieder SEO-Gedöns.
Ok, ok, nun werde ich ungerecht – enttäuschte Liebe? Auf einigen Panels war auch Neues zu erfahren, zum Beispiel, wie große Agenturen heute die Rolle von Facebook im Sales-Funnel sehen (Spoiler: Interaktion wird gar nicht mehr angestrebt – die soll auf eigenen Plattformen stattfinden). Und natürlich haben wir von TDUB nur einen kleinen Ausschnitt erlebt. Oder möglicherweise bei unserer Event-Auswahl auch nur einfach Pech gehabt.
Jeder hat seine eigenen Erfahrungen mit der SMW HH gemacht, und das ist auch gut so. Und kann sich gerne in zwei Jahren wiederholen. Vielleicht bin ich dann auch wieder dabei. Vielleicht habe ich bis dahin die SMW HH 2018 aus meinem Gedächtnis verdrängt.
(Autor: Tilo Timmerman)